.
01.06. 25 „Komm, Herr Jesus – Zwischen Martyrium, Sehnsucht und Einheit“
Schwerpunkt Einheit unter den Christen (Taize)
Bibeltexte: Apostelgeschichte 7, 55–60; Offenbarung 22, 12–14.16–17.20; Johannes 17, 20–26
Liebe Gebetsatelierfreunde und -freundinnen,
wir stehen heute an einem besonderen Punkt im Kirchenjahr: zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Christus ist in die Herrlichkeit des Vaters zurückgekehrt, aber der Heilige Geist ist noch nicht herabgesandt – es ist eine Zeit des Wartens, des Dazwischen. Genau in dieses „Dazwischen“ sprechen die heutigen Texte hinein: der Märtyrertod des Stephanus, das sehnsuchtsvolle Ende der Offenbarung und Jesu Gebet um Einheit. Drei Stimmen – und doch ein gemeinsamer Klang: Die Gegenwart Gottes trägt uns – auch im Warten, im Leiden, in der Zerbrechlichkeit.
1. Stephanus – Sehen, wo andere nur Gewalt sehen (Apg 7, 55–60)
Stephanus stirbt als erster Märtyrer der jungen Kirche. Doch seine letzten Augenblicke sind nicht von Angst geprägt, sondern von einer Vision: „Er sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen“ (Apg 7,55). Inmitten der Steine, die auf ihn fliegen, richtet er seinen Blick in den Himmel – offen, wach, zuversichtlich.
Er ruft: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ und „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ (Apg 7,59–60). Diese Worte spiegeln das Sterben Jesu am Kreuz wider (vgl. Lk 23,34.46). Stephanus lebt, was er predigte: Gnade, Vergebung, Hoffnung – selbst angesichts des Todes.
Die Verse im Einzelnen
Lukas schildert, mit was für einer geistlichen Haltung Stephanus den Märtyrertod erleidet:
1. Er bleibt Jesus treu bis in den Tod;
2. er bleibt bis zu seinem Lebensende voll Heiligen Geistes (7,55);
3. er sieht nicht mehr seine Ankläger, die ihn steinigen, sondern den erhöhten Christus zur Rechten Gottes stehen (7,55–56);
4. er ruft in der Stunde seines Heimgehens Jesus an (7,59);
5. er bezeugt bis zum letzten Atemzug seines Lebens die vergebende Liebe Jesu (7,60).
Zusammenfassung der Ausführungen aus der Elberfelder Bibel
Lukas beschreibt eindrucksvoll, in welcher inneren Haltung Stephanus seinem gewaltsamen Tod begegnet. Er hält unerschütterlich an Jesus fest – selbst angesichts des Todes. Bis zum Schluss erfüllt ihn der Heilige Geist (vgl. Apg 7,55). Inmitten der tödlichen Bedrohung blickt er nicht mehr auf seine Feinde, sondern sieht den auferstandenen Christus an der Seite Gottes (Apg 7,55–56). Während er stirbt, richtet er seinen letzten Ruf an Jesus (Apg 7,59). Schließlich verkörpert er – selbst im Sterben – die vergebende Liebe Christi, indem er seinen Peinigern vergibt (Apg 7,60).
Quelle: Elberfelder Bibel mit Erklärungen, 9. Gesamtauflage 2023, ISBN 978-3-86353-284-0, Seite 1617
In der Liturgie wurden die vorhergehenden Verse (Apg 7,1–54) ausgelassen, in denen Stephanus das Volk Gottes durch die Geschichte hindurch als widerständig gegen Gottes Wirken beschreibt. Die Auswahl der Verse fokussiert sich ganz bewusst auf den Höhepunkt: die Christusvision und das gewaltfreie Zeugnis bis zum Tod.
Alltagsbrücke:
Vielleicht gibt es auch in unserem Leben Momente, in denen Steine fliegen – Vorwürfe, Schicksalsschläge, Hilflosigkeit. Stephanus lädt uns ein, in solchen Momenten nicht nach unten zu blicken, sondern nach oben – zur Herrlichkeit Gottes, die schon jetzt sichtbar wird für den, der glaubt.
2. Offenbarung – Die Sehnsucht der wartenden Gemeinde (Offb 22, 12–14.16–17.20)
Die Lesung aus dem letzten Kapitel der Bibel lässt uns die Hoffnung der Gemeinde der Endzeit hören. Christus spricht: „Siehe, ich komme bald!“ (V. 12.20). Dreimal wird dieses Kommen betont – es ist nicht fern, sondern gewiss. Der Seher Johannes hört die Stimme des Geistes und der Braut, die gemeinsam rufen: „Komm!“ (V.17).
Diese Verse malen ein Bild von Hoffnung, Gerechtigkeit und offener Einladung: Wer Durst hat, darf kommen. Wer umkehrt, der darf eintreten „durch die Tore in die Stadt“ (V.14). Christus wird vorgestellt als „der Erste und der Letzte“, als „der strahlende Morgenstern“ (V.13.16) – Anfang und Ziel unserer Geschichte.
Hinweis auf ausgelassene Verse:
Die Verse 15 sowie 18–19 wurden in der Liturgie weggelassen. Sie enthalten Warnungen: dass bestimmte Menschen vom Zugang zur Stadt Gottes ausgeschlossen bleiben (V.15), sowie Mahnungen an jene, die das Buch der Offenbarung hinzufügen oder weglassen (V.18–19). Ihre Auslassung ist theologisch nachvollziehbar – der liturgische Fokus liegt heute auf der Einladung, der Hoffnung und dem Trost. Dennoch erinnern uns diese Verse daran: Gottes Wort ist heilig. Wahrheit, Umkehr und Ehrfurcht sind kein Beiwerk, sondern Grundlage der Hoffnung.
Alltagsbrücke:
Wie oft sehnen wir uns nach einem neuen Anfang. Diese Worte sind wie eine offene Tür für alle, die müde sind, die durstig sind, die das Leben schwer macht. Christus sagt: „Wer will, empfange unentgeltlich das Wasser des Lebens!“ (V.17). Das ist Evangelium pur.
3. Jesus betet für uns – Einheit als Zeugnis der Liebe (Joh 17, 20–26)
Im Evangelium hören wir Jesus selbst. In seinem sogenannten „hohepriesterlichen Gebet“ bittet er den Vater – nicht nur für seine Jünger, sondern auch für alle, die durch deren Wort glauben werden (V.20). Das schließt uns mit ein.
Er bittet um nichts Geringeres als Einheit: „Alle sollen eins sein, wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin“ (V.21). Diese Einheit ist nicht uniform, sondern geistlich. Sie soll der Welt zeigen, dass Gott Liebe ist. „Ich in ihnen und du in mir“ – eine innige Gemeinschaft, aus der Kraft fließt.
Hintergrund:
Dieses Gebet ist Teil der langen Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium. Es geht nicht um theologische Belehrung, sondern um geistliche Tiefe. Johannes will zeigen: Jesus kennt den Weg, der vor ihm liegt – und er sorgt sich um die Seinen. Ihre Einheit, ihre Liebe, ihr Zeugnis sollen das Werk Gottes in der Welt weitertragen.
Dieses hohepriesterliche Gebet liegt mir besonders am Herzen. Die Versöhnung unter den Christen verschiedener Kirchen ist ein besonderer Aspekt, der beispielsweise in Taize, Frankreich gelebt wird.
Taize - eine Antwort auf Johannes 17
Die von Frère Roger gegründete Kommunität in Taizé ist ein geistliches, gemeinschaftliches und ökumenisches Lebensmodell, das stark von seiner Theologie geprägt ist. Sie beeinflusst sowohl die Art der Kommunikation untereinander als auch das geistliche und praktische Leben der Jugendlichen, die nach Taizé kommen. Im Folgenden wird Frère Rogers Theologie, seine Kommunikationsform sowie das praktische Leben in Taizé skizziert, ergänzt durch wissenschaftlich fundierte Quellen.
1. Frère Rogers Theologie der Einheit und Versöhnung
Frère Roger Schutz (1915–2005), der Gründer der Communauté de Taizé, entwickelte eine Theologie der Liebe, des Vertrauens und der Versöhnung, die auf gelebtem Glauben, Einfachheit und Gemeinschaft basiert. Im Zentrum steht nicht ein dogmatisches System, sondern ein gelebtes Christentum, das sich aus dem Hören auf das Evangelium speist.
„Gott kann nur lieben“ – dieses zentrale Zitat von Frère Roger drückt sein Gottesbild aus: Gott begegnet dem Menschen nicht als strafender Richter, sondern als Quelle des Vertrauens und der Liebe.
(Roger Schutz, „Gott kann nur lieben“, Freiburg: Herder, 2005)
Seine Theologie ist zutiefst ökumenisch: Er strebte keine theologische Einheitsformel an, sondern eine Einheit im Herzen, eine „Communion ohne Uniformität“. Dabei war es sein Ziel, Christen verschiedener Konfessionen zusammenzubringen – nicht um Unterschiede zu nivellieren (unsichtbar zu machen), sondern um gemeinsam Christus in den Mittelpunkt zu stellen.
2. Die Form der Kommunikation: Schweigen, Musik, Zuhören
Die Kommunikation in Taizé ist stark geprägt von schweigendem Hören, meditativer Musik und Gemeinschaft im Glauben. Kommunikation wird nicht nur durch Worte, sondern durch Gesten, Rituale und gemeinsame Erfahrungen gestaltet.
Stille als Sprache Gottes: Drei Mal täglich versammeln sich Brüder und Gäste zur Gebetszeit. Das zentrale Element ist das lange Schweigen – eine Form der „Kommunikation ohne Worte“, die die Tiefe der Begegnung mit Gott und mit sich selbst eröffnet.
Gesänge als geistliche Sprache: Die einfachen, repetitiven Gesänge ( biblisch inspiriert und mehrsprachig) dienen der inneren Sammlung und verbinden Menschen unterschiedlicher Herkunft.
„Wenige Worte, oft wiederholt, ermöglichen ein Lauschen nach innen, führen zum inneren Schweigen und Öffnen für das Gebet.“
(Frère Roger, "Auf Gott hören", München: Claudius Verlag, 1992, S. 47)
Vertraulichkeit und nicht-missionarischer Stil: In Gesprächen, Bibelrunden und Seelsorgegesprächen wird bewusst auf eine dogmatische Belehrung verzichtet. Stattdessen stehen Zuhören, Verständnis und der persönliche Glaube im Vordergrund.
3. Das praktische Leben der Jugendlichen vor Ort
Das Leben in Taizé ist bewusst schlicht und gemeinschaftlich organisiert. Jährlich kommen Tausende Jugendliche aus aller Welt für einige Tage oder Wochen in das kleine Dorf im französischen Burgund, um an einem Rhythmus aus Gebet, Arbeit und Austausch teilzunehmen.
Elemente des Alltags:
Einfaches Leben: Unterkunft und Essen sind schlicht; viele schlafen in Zelten oder Gemeinschaftsunterkünften. Diese Schlichtheit spiegelt Frère Rogers Ideal der "radikalen Einfachheit" wider (vgl. Mette, 2013).
Gemeinschaftsdienste: Alle Jugendlichen übernehmen praktische Aufgaben (z. B. Abwasch, Toilettenreinigung, Essensausgabe), wodurch Verantwortung und Gleichwertigkeit gelebt werden.
Kleingruppen: Der tägliche Austausch in Gruppen unterschiedlicher Nationalitäten fördert interkulturelle und interkonfessionelle Kommunikation.
Workshops und Bibelimpulse: Täglich werden Bibeltexte meditiert, mit einem Impuls der Brüder eröffnet, danach individuell oder in Gruppen vertieft – mit Raum für persönliche Fragen.
„Taizé ist keine Bewegung, kein Club, sondern ein Raum. Ein Raum der Gastfreundschaft für die innere Pilgerschaft.“
(Andreas Möller, „Pilgern nach Taizé – Kommunikation des Vertrauens“, in: Pastoraltheologie 98, 2009, S. 297–308)
4. Ziel der Kommunikation: Vertrauen und Hoffnung wecken
Die Kommunikation in Taizé zielt nicht auf religiöse Überwältigung, sondern auf eine Ermutigung zur persönlichen Gottsuche. Das geschieht durch das Miteinander, durch das Teilen von Lebensgeschichten und das gemeinsame Schweigen – es entsteht ein Raum, in dem Vertrauen wachsen kann.
„Wenn Vertrauen wächst, dann wird eine Zukunft möglich – auch mitten in einer zerrissenen Welt.“
(Frère Roger, "Zeichen der Hoffnung", Freiburg: Herder, 2001, S. 22)
Fazit
Frère Rogers Kommunikation in Taizé ist Ausdruck einer gelebten Theologie der Liebe, Einfachheit und Versöhnung. Sie zeigt sich in der Gemeinschaft von Jugendlichen aus aller Welt, in der schlichten Liturgie und in einem Lebensstil, der Schweigen, Dienst und Begegnung in den Mittelpunkt stellt. Die Kommunikation geschieht nicht nur durch Worte, sondern vor allem durch das gemeinsame Leben im Glauben – eine stille, aber kraftvolle Sprache, die Generationen junger Menschen geprägt hat.
Taize hat mich sehr geprägt und ich wünschte, dass mehr Menschen von dieser Freude und der Vision nach Einheit unter den Christen angesteckt werden. Es würde dem hohepriesterlichen Gebet Jesu entsprechen.
Weitere Informationen: www.taize.de
Und hier ein Eindruck von den Taize-Gesängen:
https://www.youtube.com/watch?v=ALlkMv21a7s
https://www.youtube.com/watch?v=G04YbU8NdqQ
Kurze Dokumentation:
https://youtu.be/-QMcjjLjbZw?si=x5TaiWu2hyZ9JrJN
Alltagsbrücke:
Wie schwer tun wir uns oft mit Einheit – in Kirche, Familie, Gesellschaft. Jesu Gebet bleibt aktuell: Wir sollen nicht perfekt sein, aber verbunden – durch Vergebung, Vertrauen, gegenseitige Annahme.
Gemeinsamer roter Faden:
Alle drei Texte – Stephanus, Johannesoffenbarung und das Gebet Jesu – bewegen sich mit Blick von der Erde zum Himmel. Ubernatürliche, göttliche Dimensionen werden sichtbar. Sie zeigen uns, wie Christen zwischen Martyrium und Hoffnung, zwischen Abschied und Erwartung leben. Sie rufen uns:
Bleibt verbunden, haltet Ausschau, betet mit offenen Augen.
Kernaussage:
Die Nähe Gottes trägt durch Leiden, Sehnsucht und Trennung. Und seine Wiederkunft erfüllt unsere Hoffnung – in Gerechtigkeit, Liebe und Einheit.
Gebet:
Guter Gott,
du bist das Ziel unserer Sehnsucht und der Halt in unserer Not.
Du hast Stephanus die Augen für den Himmel geöffnet,
du hast deinem Volk durch die Offenbarung Hoffnung zugesprochen,
und du hast für unsere Einheit gebetet.
Lass uns nicht müde werden, nach dir Ausschau zu halten.
Gib uns den Mut zur Vergebung,
den Blick für deine Gegenwart in der Dunkelheit
und die Bereitschaft, eins zu werden im Glauben.
Erfülle uns mit dem Geist der Liebe, einem Sehnen nach Einheit
und stärke unsere Hoffnung:
bis du wiederkommst in Herrlichkeit.
Komm, Herr Jesus!
Amen.
Abschlussappell:
Liebe Gebetsatelierfreunde und -freundinnen,
das Evangelium ist keine Theorie, sondern ein Ruf in unseren Alltag:
„Komm, Herr Jesus!“ – das kann ein Seufzer sein, ein Stoßgebet, ein Lied.
Aber es ist immer ein Zeichen der Hoffnung.
Lasst uns in dieser Zeit des Wartens und der Spannungen nicht resignieren,
sondern wach bleiben – mit Blick auf Christus,
mit Herz für die Einheit und mit offener Hand für alle, die nach Leben dürsten.
Lasst uns in Kevelaer und da wo wir wohnen, arbeiten und leben ein Brückenbauer sein.
---
Zitate und Quellenangaben (Chicago-Stil):
Bibeltexte: „Apostelgeschichte 7, 55–60; Offenbarung 22, 12–14.16–17.20; Johannes 17, 20–26.“ Zugriff am 17. Mai 2025. www.bibleserver.de.
Liturgischer Bezug: „Tagesevangelium und Tagesliturgie vom 01.06.2025.“ Zugriff am 17. Mai 2025. https://www.vaticannews.va/de/tagesevangelium-und-tagesliturgie/2025/25/25.html .
Bibelkommentar NT allgemein:
Schnelle, Udo. Einleitung in das Neue Testament. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2019, S. 309–313.
Elberfelder Bibel mit Erklärungen, 9. Gesamtauflage 2023, ISBN 978-3-86353-284-0, Seite 1617
Zur Offenbarung: Roloff, Jürgen. Die Offenbarung des Johannes. 5. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001, S. 236–239.
Schutz, Roger. Gott kann nur lieben. Freiburg: Herder, 2005.
Schutz, Roger. Auf Gott hören. München: Claudius Verlag, 1992.
Schutz, Roger. Zeichen der Hoffnung. Freiburg: Herder, 2001.
Möller, Andreas. „Pilgern nach Taizé – Kommunikation des Vertrauens“. In: Pastoraltheologie 98 (2009): 297–308.
Mette, Norbert. Religiöse Kommunikation in der Gegenwart: Beiträge zur Praktischen Theologie. Münster: LIT Verlag, 2013.
Zum Johannesevangelium: Brown, Raymond E. The Gospel According to John XIII–XXI. New York: Doubleday, 1970, S. 741–758