Das Gebot – Der Samariter
Predigt zum 15. Sonntag im Jahreskreis (13.07.2025)
Lesungstexte:
5. Mose (Deuteronomium( 30,9c–14 → https://www.bibleserver.com/EU/Dtn30%2C9-14
Kolosser 1,15–20 → https://www.bibleserver.com/EU/Kol1%2C15-20
Lukas 10,25–37 → https://www.bibleserver.com/EU/Lk10%2C25-37
Liebe Gebetsatelierfreunde und -freundinnen,
manchmal fragen wir uns: Was will Gott eigentlich von mir? Gibt es da nicht eine geheime Wahrheit, die irgendwo verborgen liegt – hoch im Himmel oder am anderen Ende der Welt? Die Antwort des heutigen Sonntags ist überraschend einfach – und gleichzeitig tiefgreifend: Gottes Wort ist dir ganz nah. Es ist in deinem Mund und in deinem Herzen. Du kannst es halten.
1. Das fünfte Buch Mose (Deuteronomium) 30,9c–14: Das Wort ist ganz nah
Mose erinnert das Volk Israel daran: Gottes Weisung ist nicht fern. Sie ist nicht nur etwas für religiöse Eliten oder geistliche Spezialisten. Nein – sie ist dir nahe. So nahe wie das Wort, das du sprichst, und das Herz, das in dir schlägt. Du kannst es verstehen. Du kannst danach leben.
Die Verse 9a–9b wurden in der heutigen Lesung weggelassen – dort geht es um Fruchtbarkeit, Vieh und Besitz. Wahrscheinlich, weil sich die Botschaft der Nähe Gottes heute auf das Hören und das Halten des Wortes konzentrieren soll, unabhängig von äußerem Segen.
Biblischer Hintergrund: Der Deuteronomiumstext stammt aus einer liturgischen Bundeserneuerung (vgl. Stuttgarter Erklärungsbibel, S. 247). Es ist ein Ruf zur Rückkehr zu Gott nach Zeiten der Zerstreuung. Der Text ist durchzogen vom Glauben, dass der Mensch durch Umkehr und Hören auf Gottes Stimme leben kann.
Heute heißt das: Gottes Wille ist kein Mysterium. Er ist kein fernes Rätsel. Die Liebe zu Gott und zum Nächsten ist das Entscheidende. Gott spricht durch das einfache, klare Gebot – und durch dein eigenes Gewissen.
2. Kolosser 1,15–20: Christus – Mitte der Schöpfung und Versöhnung
Paulus beschreibt in einer Hymne Christus als das Zentrum der ganzen Schöpfung. Alles Sichtbare und Unsichtbare – sogar die kosmischen Mächte – sind in Christus erschaffen. Er ist das Haupt der Kirche und der Anfang einer neuen Schöpfung. In ihm wohnt die ganze Fülle Gottes. Und durch ihn ist Versöhnung möglich – mit allem, was lebt.
Theologischer Schwerpunkt: Die sogenannte "Christushymne" (Kol 1,15–20) gilt als ein früher liturgischer Text der Urkirche. Christus ist nicht nur ein Lehrer oder Vorbild – er ist derjenige, durch den alles geschaffen wurde und der alles zusammenhält (vgl. Elberfelder Bibel mit Erklärungen, Kommentar zu Kol 1,15–17).
Durch das Kreuz hat Christus „Frieden gestiftet“ (V. 20) – nicht durch Macht, sondern durch Hingabe.
Der Benediktinermönch Anselm Grün schreibt dazu: „Versöhnung geschieht dort, wo wir uns dem Frieden Christi öffnen, nicht wo wir uns durchsetzen“³.
In der katholischen Theologie hat besonders Papst Benedikt XVI. diesen Gedanken ausgearbeitet: „Wer Christus anschaut, sieht, wie Gott ist“² – das ist keine Theorie, sondern eine Einladung zur Beziehung.
In persönlichen Krisen – etwa nach einem Streit in der Familie oder im Blick auf Krieg und Gewalt in der Welt – kann diese Perspektive Halt geben. Christus ist größer als unsere Zerrissenheit. Er hält alles zusammen.
Heute heißt das: Wenn du fragst, woran du dich halten kannst in einer zersplitterten Welt – dann schau auf Christus. Er ist das Zentrum, nicht du. Und wenn du dich auf ihn ausrichtest, bekommst du Halt – und eine neue Sicht auf alles andere.
3. Lukas 10,25–37: Der barmherzige Samariter – Nähe konkret gemacht
Ein Gesetzeslehrer will Jesus auf die Probe stellen: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Jesus antwortet mit einer Gegenfrage – und der Mann nennt selbst die richtige Antwort: Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst. Doch dann kommt die entscheidende Frage: „Wer ist mein Nächster?“
Jesus erzählt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Ein Mann wird überfallen, ausgeplündert und schwer verletzt. Zwei religiöse Würdenträger – ein Priester und ein Levit – sehen ihn und gehen vorbei. Erst ein Samariter, ein Außenseiter, bleibt stehen. Er hilft, pflegt, bezahlt. Jesus fragt: „Wer von den dreien war der Nächste?“ Die Antwort: „Der, der Barmherzigkeit zeigte.“ Und Jesus sagt: „Dann geh und handle du genauso!“

Kommentar: Jesus kehrt die Perspektive um: Nicht „wer ist mein Nächster?“, sondern „wem werde ich zum Nächsten?“ (vgl. Neue Jerusalemer Bibel, Kommentar zu Lk 10,25–37).
In der „Neue Jerusalemer Bibel“ heißt es zur Figur des Samariters: „Der Samariter ist Bild des Menschen, der dem Gesetz des Herzens folgt – nicht des Kultes.“⁴
Ein Pastor erzählte, wie ihn ein Obdachloser mitten im Gottesdienst unterbrach. Erst war er genervt – aber dann erkannte er: Dieser Mensch war „sein Nächster“, den Gott ihm in den Weg gestellt hatte. Sie gingen gemeinsam essen – und aus dieser Begegnung entstand später ein diakonisches Projekt für Bedürftige.
Die Heilige Katharina von Siena schreibt: „Was du dem Geringsten tust, das tust du Christus.“⁵ Ihre Mystik ist keine Flucht aus der Welt, sondern eine radikale Hinwendung zum anderen.
Christliche Ethik beginnt bei mir selbst.
Heute heißt das: Dein Nächster ist nicht der, der dir sympathisch ist oder zu deiner Gruppe gehört. Dein Nächster ist der Mensch in Not – ganz gleich, woher er kommt oder was ihn auszeichnet.
4. Praktische Verbindung und geistlicher Zusammenhang
Was verbindet diese drei Texte?
– Das fünfte Buch Mose betont in Kapitel 30: Gottes Wort ist dir nah – du kannst es leben.
– Kolosser 1 sagt: Christus ist der, durch den alles Bestand hat – er ist das Zentrum und er gibt dir durch den Heiligen Geist .Kraft Gebote zu halten, indem du dem Samariter hilfst.
– Lukas 10 zeigt: Wer auf Christus hört, handelt barmherzig – konkret, sichtbar, zugewandt.
Die Botschaft ist klar: Du musst das Reich Gottes nicht erst suchen – es ist schon da, wo du Liebe übst.
Du musst die Gebote nicht analysieren wie ein Jurist – du darfst sie leben wie ein Mensch, der mitfühlt.
Du musst Gott nicht in den Sternen suchen – du findest ihn im verletzten Menschen am Straßenrand.
4.2. Ein weiterer roter Faden, der diese Texte verbindet: Nähe
Alle drei Texte kreisen um Nähe. Im fünften Buch Mose ( Deuteronomium), Kapitel 30 ist es das Wort Gottes, das nah ist. In Kol 1 ist Christus selbst diese Nähe, weil er das Abbild Gottes ist. Und in Lk 10 wird diese Nähe konkret – durch den barmherzigen Samariter. Es geht nicht um entfernte Gottesbilder, sondern um eine Spiritualität, die im Alltag lebt: im Herz, im Handeln, im Gesicht des Nächsten.
5. Zeitgemäße Beispiele
– Vielleicht sitzt dein „Nächster“ einsam in der Nachbarwohnung.
– Vielleicht steht er mit leerem Blick an der Kasse.
– Vielleicht ist es die geflüchtete Familie, die neu in deiner Stadt lebt – und deine Einladung braucht.
Die Entscheidung, hinzusehen und stehenzubleiben, ist nicht spektakulär – aber sie verändert die Welt. Der Samariter hat die Welt dieses einen Mannes gerettet.
5.1. Weisheit ist beim Helfen gefragt
Aber: Barmherzigkeit ist mehr als bloße Spontanität. Jesus erzählt von einem Samariter, der nicht einfach nur Mitleid hatte – sondern weise geholfen hat. Er behandelte die Wunden, brachte den Verletzten zu einer Herberge, zahlte dem Wirt – und traf eine klare Abmachung für weitere Hilfe.
➡️ Barmherzigkeit heißt nicht: Verschenke einfach sinnlos Geld.
Hilf so, dass deine Hilfe wirklich hilft.
➡️ Lass dir beim Helfen helfen.
Manchmal braucht es die Unterstützung von Menschen mit Fachwissen: Sozialarbeiter, Ärztinnen, Rechtsberater, Therapeutinnen – sie können helfen, die Not des anderen besser zu verstehen und nachhaltige Schritte einzuleiten.
➡️ Hilf klug und auf Augenhöhe. Gib dem anderen nicht nur einen Fisch (Erstversorgung in einer akuten Notlage) – sondern nach zwei oder drei Fischen lieber auch eine Angel oder ein Fischernetz (Möglichkeiten in Zukunft selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen).


Der barmherzige Samariter handelt verantwortungsvoll. Er sichert akute Hilfe – und vertraut dem Wirt, den Genesenden weiter zu begleiten. Das ist: Hilfe zur Selbsthilfe. Verantwortung, die befreit – nicht bindet.
Ein praktisches Beispiel für solche Hilfe: Wenn ich in Kevelaer in einem Supermarkt einkaufen gehe und vor der Tür ein Mensch mich um Geld bittet, dann gebe ich ihm kein Bargeld. Stattdessen frage ich ihn, ob ich ihm etwas zu essen kaufen darf. Meistens sind die Betroffenen damit einverstanden. Auf diese Weise helfe ich konkret – mit dem, was wirklich gebraucht wird. Denn Bargeld könnte unter Umständen für Dinge verwendet werden, die dem Menschen nicht guttun oder seine Situation sogar verschlechtern.

6. Zeugnisse aus geistlicher Erfahrung
– Franz von Assisi stieg vom Pferd, als er einen Aussätzigen sah – und umarmte ihn.
– Corrie ten Boom rettete Juden – und vergab später ihren Peinigern.
– In Gebetskreisen berichten Menschen, dass die Entscheidung, auf Bedürftige zuzugehen, oft begleitet war von tiefer innerer Bestätigung durch den Heiligen Geist.
Gott bestätigt, was aus Liebe geschieht.
7. Appell
Liebe Freunde,
fragt nicht ausschließlich: Wo ist Gottes Wille?
Er ist dir nah. Er ist klar.
Gott liebt – und du kannst mitlieben.
Jesus fragt dich nicht, wie viele Verse du zitieren kannst – er fragt: Bist du bereit stehenzubleiben, zu helfen, Barmherzigkeit zu zeigen?
Dann geh – und handle genauso.
8. Schlussgebet
Herr Jesus Christus,
du bist das lebendige Wort des Vaters,
du hast uns gezeigt, was Liebe bedeutet.
Schenk uns offene Augen für das Leid um uns.
Schenk uns den Mut, stehenzubleiben.
Schenk uns ein Herz, das sich berühren lässt.
Und eine Hand, die weise und intelligent handelt.
Damit dein Reich spürbar wird – schon heute.
Amen.
9. Literaturhinweise1. Stuttgarter Erklärungsbibel, 3. Aufl. (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2007), S. 243.
Anselm Grün, Jesus – Wege zum Leben (Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag, 2015), S. 91.
Joseph Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth: Prolog – Die Kindheitsgeschichten (Freiburg: Herder, 2012), S. 32.
Neue Jerusalemer Bibel, 3. Aufl. (Freiburg: Herder, 1985), S. 1877, Kommentar zu Lukas 10.
Katharina von Siena, Briefe (Freiburg: Herder, 1992), Brief 265.
Bibelstellen online nachlesbar:
www.bibleserver.de
Evangelium des Tages: www.vaticannews.va/de/evangelium-des-tages/2025/07/13.html
Werner Jung, Kevelaer,: Predigt zum 15. Sonntag im Jahreskreis (13.07.2025)