„Durchbohrt – und doch Quelle des Lebens: Von Christus berührt, verwandelt und getragen“
Bibeltexte zum 12. Sonntag im Jahreskreis (22. Juni 2025): Sacharja 12,10–11; 13,1; Galater 3,26–29; Lukas 9,18–24
Liebe Gebetsatelierfreunde und -freundinnen,
heute sprechen die drei Bibeltexte eine gemeinsame Sprache – die Sprache des Schmerzes, der Identität und der Berufung. Drei Texte – und doch eine tiefere Botschaft: In Christus ist alles verwandelt. Aber diese Verwandlung geschieht nicht ohne Ringen, ohne Leid, ohne ein radikales Umdenken.
1. Ein durchbohrter Gott – Sach 12,10–13,1
Der Prophet Sacharja spricht in poetischen, ja fast mystischen Worten von einem tiefen Schmerz: „Sie werden auf mich blicken, auf ihn, den sie durchbohrt haben“ (Sach 12,10). In diesem Vers wird eine prophetische Szene gezeichnet: Das Volk erkennt den, den es verworfen hat – und es geschieht eine Wende durch Reue und Gnade.
Historisch wurde dieser Abschnitt im Alten Israel als Ausdruck der kollektiven Umkehr verstanden. Doch in christlicher Perspektive wird dieser Vers häufig auf das Leiden Jesu am Kreuz bezogen. Die Stuttgarter Erklärungsbibel verweist darauf, dass das Durchbohren hier „als ein entscheidender Wendepunkt in der Heilsgeschichte“ gelesen wird: Es geht um mehr als nur Reue – es geht um Erneuerung.
Sacharja spricht weiter von einer Quelle, „die gegen Sünde und Unreinheit entspringt“ (Sach 13,1). Hier öffnet sich die Perspektive des Neuanfangs: Aus dem durchbohrten Herz Jesu fließt, wie die Neue Jerusalemer Bibel erklärt, „eine reinigende, lebensspendende Gnade, die das alte Opferverständnis ablöst“.
Ein freikirchlicher Christ berichtete einmal, wie er durch das Betrachten eines Kreuzesbildes in einem Gottesdienst innerlich zerbrochen und reumütig wurde – aber gerade dort Heilung fand. „Ich habe mich erkannt – und zugleich Gottes Liebe gespürt“, sagte er. Das ist genau diese Quelle, von der Sacharja spricht.
2. Wir sind eins – Gal 3,26–29
„Ihr alle seid durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus.“ Paulus spricht hier mit revolutionärer Klarheit: Wer glaubt, gehört zur Familie Gottes. Die Grenzen zwischen Herkunft, Status und Geschlecht sind aufgehoben – „Denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28).
Zur Zeit des Paulus war diese Aussage ein Skandal. Weder die jüdische noch die griechisch-römische Gesellschaft kannte diese Form von Gleichwertigkeit. Die Genfer Studienbibel hebt hervor, dass Paulus hier „eine völlig neue Anthropologie des Glaubens“ formuliert: Der Mensch wird nicht mehr durch äußere Merkmale definiert, sondern durch seine Zugehörigkeit zu Christus.
Auch in unserer Zeit ist diese Botschaft hochaktuell. In einer Welt voller Abgrenzung, Identitätsdebatten und Polarisierung stellt Paulus eine visionäre Alternative vor: Einheit durch Christus.
Ich erinnere mich an eine katholische Ordensfrau in Brasilien, die sich in den Slums für Aidskranke einsetzte. Sie sagte einmal: „Wir sind nicht besser, wir sind Brüder und Schwestern. Christus ist das Kleid, das wir tragen.“ Sie lebte Galater 3, ohne große Worte.
3. Die große Frage: Für wen hältst du mich? – Lk 9,18–24
Jesus fragt seine Jünger: „Für wen halten mich die Leute?“ Die Antworten sind vielfältig – Johannes, Elija, ein Prophet. Dann die entscheidende Wende: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Petrus antwortet: „Für den Christus Gottes.“
Diese Szene ist ein Wendepunkt im Lukasevangelium. Danach folgt die erste Leidensankündigung: „Der Menschensohn muss vieles erleiden … getötet … und auferweckt werden“ (vgl. Lk 9,22).
Jesus lädt seine Nachfolger ein, ihr Kreuz täglich auf sich zu nehmen (Lk 9,23). Das ist keine romantische Metapher. Die Elberfelder Bibel kommentiert dazu nüchtern: „Das Kreuz ist Symbol der Selbstverleugnung und des Gehorsams – nicht der Selbstverwirklichung“ (Elberfelder Bibel mit Erklärungen, 2022, S. 1862).
Ein junger Mann aus einer katholischen Jugendgemeinde erzählte, wie er sein Kreuz verstand: Nach dem Verlust seiner Freundin durch einen Unfall trug er Schmerz, Wut und Zweifel. Aber in dieser Phase hörte er eine Berufung zum Dienst an anderen Verletzten – heute leitet er ein christliches Trauerzentrum.
Die Heilige Katharina von Siena schrieb in einem Brief: „In seinem Kreuz liegt unser Heil. Wer es liebt, wird leben.“ Ihr Leben zwischen Mystik, Politik und Dienst an den Armen war geprägt von dieser Bereitschaft, das Kreuz Christi zu umarmen.

Der innere Zusammenhang der drei Texte
Alle drei Lesungen sprechen vom Blick auf Christus:
- Sacharja sieht prophetisch den Durchbohrten, aus dem eine Quelle entspringt.
- Paulus beschreibt, was geschieht, wenn wir uns mit Christus identifizieren – wir werden eins.
- Lukas zeigt, dass das Bekenntnis zu Christus untrennbar mit Nachfolge und Kreuztragen verbunden ist.
Die Texte bauen aufeinander auf: Von der Klage (Sacharja) zur Identität (Galater) zur Berufung (Lukas). Das ist kein Weg in die Verzweiflung, sondern ein Weg ins Leben.
Abschlussappell
Wen siehst du, wenn du auf Christus blickst?
Den Verurteilten? Den Durchbohrten? Den Auferstandenen?
Bist du bereit, dich in ihm zu erkennen, dich von ihm verwandeln zu lassen – auch wenn das Kreuz bedeutet?
In einer Zeit der Selbstinszenierung lädt Christus uns zur Selbstverleugnung ein – aber gerade darin liegt das wahre Leben. Wer alles festhält, verliert. Wer loslässt, gewinnt.
Schlussgebet
„Herr Jesus Christus,
Du hast dich durchbohren lassen, damit unsere Herzen berührt werden.
Du hast uns durch dein Kreuz eine Quelle des Lebens erschlossen.
Gib uns Mut, auf dich zu blicken – auch wenn dein Weg ein Weg des Leidens war.
Verwandle unsere Herzen durch deinen Geist der Gnade.
Lass uns erkennen, dass wir eins sind in dir – über alle Grenzen hinweg.
Stärke uns, unser Kreuz täglich anzunehmen – nicht als Last, sondern als Zeichen deiner Liebe.
Amen.“
Literaturverzeichnis (Chicago-Stil)
Elberfelder Bibel mit Erklärungen. Wuppertal: SCM R. Brockhaus, 2023. ISBN 978-3-86353-284-0.
Genfer Studienbibel. Holzgerlingen: Hänssler, 1999.
Neue Jerusalemer Bibel. Freiburg: Herder, 2016.
Stuttgarter Erklärungsbibel. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2023.
Bibeltexte über www.bibleserver.de
Evangelium und Tagesliturgie:
https://www.vaticannews.va/de/tagesevangelium-und-tagesliturgie/2025/06/22.html